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Medieval Silke Flowers
Behling

Lottlisa Behling - Die Pflanze in der mittelalterlichen Tafelmalerei
Pages 20-21 

PFLANZEN AUF TAFELBILDERN

DER ERSTEN HALFTE DES 15.JAHRHUNDERTS IN DEUTSCHLAND

 

Tritt die Pflanzenwelt vor der Jahrhundertwende in einem sehr zarten Streumuster in der deutschen Tafelmalerei hervor, so blüht sie in der Zeit des weichen Stils mit einem Schlage auf. Die Malerei des frühen 15. Jahrhunderts in Deutschland beginnt mit einer bezaubernden kleinen Tafel, bei der man geradezu von einem botanischen Wunder sprechen möchte. Es ist das Paradiesgärtlein eines oberrheinischen Meisters um 1410 im Staedel zu Frankfurt/M.

Als wäre die Welt erst jetzt auf einmal aufgeblüht und alles, was in der Kathedralenkunst des hohen Mittelalters schon an Pflanzenzier dagewesen war, vergessen und von neuem entdeckt, so wachsen hier nebeneinander dicht an dicht die zierlichen Blumen verschiedener Blühzeiten. In einem eigens durch einen Plankenzaun abgetrennten Beet sieht man Vexiernelke (Lychnis Coronaria L.), Goldlack (Cheiranthus Cheiri L.), Levkoje (Matthiola annua Sweet), Schwertlilie (Iris germanica L.), Stockrose (Althaea rosea Cavanilles). Tiefer herab, in der Nähe der drei männlichen Heiligen, bedeckt sich der Boden mit weißen Lilien (Lilium candidum L.), Schlüsselblumen (Primula officinalis Jacquin), Akelei (Aquilegia), Immergrün (Vinca minor L.), Veilchen (Viola odorata L.) und Erdbeeren (Fragaria vesca L.), unterhalb des Gewandsaumes Maria aber neben

Veilchen und Schlüsselblumen mit schönen Märzbechern (Leucoium vernum L.). Unten am Bildrande wächst sin prächtiger Pfingstrosenbusch (Paeonia officinalis L.), und Maiglöckchen (Convallaria majalis L.) steigen schlank aus weichen, großen Blättern. Längs der Mauer blüht ein Rosenstrauch, weiter oben säumen Ehrenpreis (Veronica Chamaedrys L.) und die aus dem karolingischen Hortulus des Walahfrid Strabo bekannte Salbei (Salvia)29 den Rasen. Von den schon in dem Arzneikräutergarten des Klosterplanes von St. Gallen um 820/30 eingetragenen uralten Heilpflanzen begegnen nun hier wieder, aber in lebendiger Gestalt, Lilie, Rose, Schwertlilie, Salbei. Ein Kirschbaum trägt reiche Früchte, die in den geflochtenen Korb hinein von einer jungen Heiligen in weißem Gewande und rotem Mantel (Dorothea) gepflückt werden; ein früchteloser Baum zur Rechten bildet ein Dach über drei männlichen Heiligen und hat Anlaß zu tiefsinnigen Deutungen gegeben 30; der kleine Baumstumpf weiter unten zu Füßen St. Michaels treibt zwei junge Reiser.

Von botanischer Seite ist man verschiedentlich an diese miniaturhaft feine, kleine Tafel mit den vielen Kräutern herangegangen 31. "So sah vielleicht der Garten eines reichen Bürgers in Köln am Anfang des 15. Jahrhunderts aus . . .", schreibt Fischer 32, und an anderer Stelle verweist er auf die Lustgartenbeschreibung des Albertus Magnus aus dem 13. Jahrhundert, für dessen Gartenplan das Paradiesgärtlein eines oberrheinischen Meisters eine Illustration sein könnte 33. Albertus schildert diese viridantia oder viridaria folgendermaßen:

Man muß also einen Platz, der für einen Lustgarten eingerichtet werden soll, zuerst von alten Wurzeln gut reinigen, was kaum geschehen kann, wenn man nicht die Wurzeln ausgräbt, den Platz aufs beste ebnet und allenthalben kräftig mit kochendem Wasser übergießt, damit die Reste der Wurzeln und Samen, die im Boden verborgen sind, verbrannt werden und nirgendswo keimen können. Alsdann muß mit mageren Rasenstücken eines feinen Grases der ganze Platz belegt werden, und dieselben müssen mit breiten, hölzernen Hämmern fest eingedrückt und die Gräser mit den Füßen in den Boden eingestampft werden, bis sie kaum mehr zu sehen sind: dann brechen sie allmählich haarfein hervor und bedecken die Oberfläche nach Art eines grünen Tuches. Man muß den Rasen in solchen

Ausmaßen anlegen, daß hinter dem Rasen im quadratischen Ausschnitt aIle Arten aromatischer Kräuter, wie Raute, Salbei, Basilicum gepflanzt werden können und desgleichen aIle Arten von Blumen, wie Veilchen, Akelei, Lilie, Rose, Schwertlilie und ähnliche. Zwischen diesen Kräuterbeeten und dem (erstgenannten) Rasenstück soll am Ende desselben ein erhöhtes Rasenstück angelegt werden voll lieblicher Blumen und ungefähr in der Mitte zum Sitzen geeignet, wo sich die Sinne erholen und Menschen sitzen können, um sich ergötzlich auszuruhen.

Auf dem Rasen sind gegen die Sonnenseite hin Bäume zu pflanzen oder Weinreben hochzuziehen, durch deren Laub der Rasen gewissermaßen geschützt ist und ergötzlichen und erfrischenden Schatten empfängt. . . Hinter dem Rasen aber herrsche eine Vielzahl von Medizinal- und Küchenkräutern (aromaticae!), welche nicht allein durch ihren Geruch ergötzen, sondern auch durch die Mannigfaltigkeit der Blüten das Auge erfreuen und durch ihre Vielgestaltigkeit den Blick des Beschauers auf sich lenken . . .

In der Mitte des Rasens aber sei kein Baum, sondern lieber glatte Fläche, so daß man sich an gesunder und freier Luft erfreuen kann. . .

Wenn es aber möglich ist, soll eine sehr reine, in Stein gefaßte Quelle in die Mitte geleitet werden, weil deren Reinheit viel Vergnügen macht. Nach Norden und nach Osten sei der Lustgarten offen wegen der Gesundheit und Reinheit der hier einströmenden Winde. Nach der entgegengesetzten Windrichtung aber, d. h. nach Süden und nach Westen, sei er geschlossen wegen der Stürmischkeit, Unreinheit und schwächenden Wirkung dieser Winde... (Ubersetzung aus Buch 7, Kap. 14 des 1. Traktates, s. Fischer I, S. 171 ff.)

Auch in dem Paradiesgärtlein des oberrheinischen Meisters sieht man nirgends Wege, die Zierblumen entsprießen dem Rasen unmittelbar, mit Ausnahme der von einem Plankenzaun eingefaßten Heilpflanzen, der Rasen ist etwas erhöht und bietet Gelegenheit zum Sitzen, die in Stein eingefaßte Quelle ist vorhanden, desgleichen ein Baum links längs der Mauer, die das Terrain

nach zwei Seiten abschließt.

Dieser herrliche, bunte Garten ist das friedliche Reich der Himmelskönigin Maria, die holdselig in ihrem Buche blättert, während das Kind ihr zu Füßen auf einem Psalterium spielt und die  Heiligen - neben Dorothea (?) und Cäcilie sind es St. Georg, eine junge Heilige mit goldener Schöpfkelle und der Jüngling in vornehmer Tracht unter dem Baum - sich im Gespräch ergehen oder bei gärtnerischen Arbeiten beschäftigt sind. Der ernste Klang, den der Todesengel und Seelenwäger St. Michael in dieses zauberhafte Bildchen der Kunst des weichen Stils hineinträgt,

in dem die höfische Kultur eines vergangenen ritterlichen Zeitalters sich mit der gefühlsstarken Mystik einer neuen Epoche verbindet, erstirbt doch vor dem jubelnden Farbakkord seiner azurblauen und goldenen Flügel, seines zierlich goldenen Kopfschmuckes und seines tiefblauen Mantels. Rot, Blau, Weiß und Gold zusammen mit dem Grün des Rasens, das sind die beherrschenden Farben, und es ist längst erkannt, daß das Abbild dieses irdischen Gartens hier noch tiefer zu verstehen ist als Sinnbild und Lobpreis der Schöpfung, insbesondere der Gottesmutter Maria 34, ja, daß in Wahrheit das Paradies gemeint ist. Ein unlängst veröffentlichter Aufsatz von Elisabeth Wolffhardt: "Beiträge zur Pflanzensymbolik"34a weist ganz in diese Richtung.

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Original in German